Das Hotel – Satirische Anmerkungen am Ende eines Jahres

Weihnachtsfeier der Bertelsmann Broadband Group am 13. Dezember 2000 in Köln

Das Leben ist ungerecht. Ihr Freund Kabulske sitzt jetzt zu Hause bei Frikadellen und Pils, Sie aber sitzen in einer fremden Stadt in einem Taxi – mit nichts als Fragen. Warum müssen Sitzungen immer so lang sein und tat das überhaupt Not, hierher zu kommen, und was ist jetzt alles im Büro liegengeblieben und waren wir nicht schon mal an dieser Kreuzung und wieso ist der Termin morgen eigentlich wichtig und wie lange braucht man danach wohl zum Flughafen und warum ist der Weg jetzt viel länger als letztes Mal? Aber all dies bleibt unbeantwortet, denn der Taxifahrer bremst, er lächelt, er sagt “one thousand” und er sagt “Hotel”.

In der Tat: Da erscheint ES in voller Größe und Pracht, das mit Landesfahnen geschmückte, fünf Sterne besitzende, auf der Bertelsmann-Liste verzeichnete und daher mit großzügiger Rabattierung winkende Hotel, das anbietet, nunmehr dem Dienstreisenden als Hort der Ruhe und Entspannung und Konstante im Trubel der Großstadt alle Annehmlichkeiten zu gewähren, derer er zurecht bedarf: Gemütliche Zimmer, Drinks an der Bar, entspannende Klaviermusik.

Doch weit gefehlt. Jetzt beginnt die Katastrophe.

Genauer gesagt beginnt sie bereits an der automatischen Drehtür des Luxushotels, die meist gerade bei Ihrem beabsichtigten Eintreten 9.000 Umdrehungen erreicht hat, weil von der Hotelhalle aus eine japanische Reisegruppe nach draußen zum Fotografieren strebt, worauf Sie mit rekordverdächtigen Dreisprüngen reagieren, weil Sie den Rest des Abends nicht rotierend zwischen ausgestellten MCM-Handtaschen verbringen wollen. Oder es geschieht, dass sich ihr Koffer* in der Drehtür verkeilt, denn das Mitbringen von Koffern hatte der Architekt nicht vorgesehen, was dazu führt, dass die 16 tangential Einlass begehrenden Individuen zunächst in ballettartige Trippelschritte verfallen, um sodann mit ihren Köpfen gegen die Glaswände zu knallen.

Leicht benommen begeben Sie sich zur Rezeption, um eine Menschenmenge zu erblicken wie im Düsseldorfer Flughafen, Abflughalle D. Der stauverursachende Anlass heißt Einchecken. Der Lebensabschnitt “Einchecken” steht unter dem besonderen Schutz der hoteleigenen Ordnung. Seine Dauer ist umgekehrt proportional zu Ihrer Aufenthaltszeit. Bleiben Sie 14 Tage, geht alles ganz schnell. Reisen Sie morgen wieder ab, sind Sie des Vagabundismus verdächtig.

Rezeptionisten haben eine besondere Taktik. Sie begrüßen Sie freudig mit dem vorgeschriebenen Satz “Herzlich willkommen in unserem Hotel” bei gleichzeitigem Anreichen eines 38 Positionen umfassenden Formulars, in dem Sie, unabhängig von der Vollständigkeit Ihrer schriftlichen Reservierung, noch einmal alles eintragen müssen, was mit Ihrer Person zusammenhängt. Besonders beliebt ist dabei – wie in Österreich – die Abfrage der Passnummer in einem Schengen-Land.

Später beim Auschecken werden Sie merken, dass man sich herzlich wenig für Ihre Daten interessierte und sie auch nur halbherzig in den Computer eingab (meine Hotelrechnungen sind unter anderem an Millernplatz, Müllertor, Millerntorplatzstrasse, Millerstraße oder auch schlicht M-Platz adressiert), sondern es sich mehr um Beschäftigungstherapie handelt, um jene acht Minuten zu überbrücken, in denen der Rezeptionist auf den mit Blöckchengrafik veredelten phosphorisierenden DOS-Bildschirm blickt und rhythmisch die Enter-Taste drückt.

Dann kommt der eigentliche Höhepunkt: Sie reichen ein Plastikkärtchen, auf dem Ihr guter Name steht, und bekommen ein Plastikkärtchen, auf dem gar nichts steht. Das war dann der ganze ökonomische Prozess. Im Grunde ist der Besuch eines Hotels nur ein Plastikkarten-Warenaustausch. Übernachten müssen Sie gar nicht mehr, Sie können auch gleich wieder gehen, es ist alles erledigt.

Achten Sie übrigens darauf, wie man Ihnen die Zimmerkarte übergibt. Sagt man nichts, erwartet Sie wahrscheinlich ein ganz ordentlicher Raum. Vorsicht ist hingegen angebracht, wenn der Rezeptionist betont, er habe ein besonders schönes und ruhiges Zimmer für Sie. Dann ist es meistens klein, eine Viertelstunde Fußweg vom Aufzug entfernt und gewährt einen detaillierten Blick auf die dampfende Hotelküche.

Doch verlassen wir die Halle und begeben uns auf unser Zimmer. Sollte es gelungen sein, die Tür zu öffnen, beginnt die Suche nach dem Lichtschalter. Haben Sie den ertastet und gibt es keine Reaktion, dann haben Sie es mit einem modernen Hotel zu tun, bei dem Sie Ihre Zimmer-Plastikkarte in einem 10-Grad-Winkel in den Schlitz eines im Dunkeln nahezu unsichtbaren Kontaktgebers stecken müssen.

Die Tücke solcher Kontaktapparate ist, dass sie beim Verlassen des Zimmers und Herausziehens der Schlüsselkarte meistens nicht nur das Licht, sondern auch die komplette Stromversorgung abschalten, was dazu führt, dass das ans Netz gehängte Handy weiter entlädt statt auflädt sowie der Laptop in den Batteriebetrieb wechselt und in zeitlicher Koinzidenz mit dem zweiten Bier an der Bar dem Zimmernachbarn unter lautem Hupen kund gibt, sich jetzt abzuschalten. Ich beuge dem immer vor und stecke nie den Zimmerschlüssel in den Kontaktgeber, sondern die Plastikkarte von Jacques Weindepot.

Als nächstes sollten Sie den Kampf mit der Klimaanlage aufnehmen. Sie ist meist auf kühlhausgerechte 20 Grad unter Null eingestellt, ihr Gebläse entfaltet die Geräusche eines Langstreckenjets und der ins Zimmer ausgestoßene Luftstrom erinnert Sie an das Jahr 1968, nämlich an den Orkan auf Helgoland.

Am besten leiten Sie sofort Gegenmaßnahmen ein und öffnen die Tür der Minibar. Aus dieser schlägt Ihnen nämlich meistens wohlige Wärme entgegen. Das liegt an der Fürsorge der Hotelleitung: Wer im Zimmer friert, soll wenigstens warme Cola kriegen.

Sie können natürlich auch den Versuch unternehmen, das Fenster zu öffnen. Dazu empfiehlt es sich, das folgende Prüfprogramm zu absolvieren: Erstens. Hat das Zimmer überhaupt ein Fenster? Zweitens: Wenn ja, lässt es sich öffnen? Sollte das Fenster zu öffnen sein, schauen Sie unbedingt noch mal auf Ihre Reservierung. Ist das wirklich ein Fünf-Sterne-Hotel?

Doch, ist eins, stellen Sie fest, denn die maximale Öffnung ist fünf Millimeter. Also noch in der Norm. Fünf Millimeter reichen übrigens völlig aus, falls Sie als Raucher ein Nichtraucherzimmer erwischt haben. Ich habe schon in zig Hotelzimmerfenster geschaut, vor denen S-förmig gebeugte Bandscheibenvorfällen trotzende Menschen ihre Nasen an Fenstern plattdrückten, den Kopf drinnen, die Zigarette draußen.

Sollte das Fenster weiter aufgehen, achten Sie auf den Vorhang. Fensterlieferant und Dekorationsunternehmen sind zwei verschiedene Firmen. Gehen Sie davon aus, dass jeder von ihnen keine Lust hatte, auf den anderen Rücksicht zu nehmen. …

Jetzt wollen Sie vielleicht etwas aus der Minibar haben. Ach ja, die Minibar. Sie ist inzwischen ein Wunderwerk der Technik. Besonders nett ist eine Minibar mit Bodenkontakten. Neulich entdeckte ich in London im Kühlschrank eine blaue Rolle, die aussah, als enthielte sie runde Schokoladenplätzchen. Nach Anheben stellte sich heraus, dass es unverzehrbare Kondome waren. Doch nun war es zu spät, der Kontakt hatte bereits im Hotelcomputer die Buchung “sanitary kit, six pound fifty” ausgelöst. Also blieb nichts anderes als zum Beweis der Unberührtheit (der Packung, meine ich) die Rolle beim Auschecken der jungen Dame an der Rezeption vorzulegen, die aber – sie war leider Britin – das Überreichen von Kondomen irgendwie nicht komisch fand.

Nach Auffinden des gewünschten Getränks beginnt die Suche nach dem Flaschenöffner. Für die Deponierung dieses Utensils gibt es in einem Hotelzimmer 122 Möglichkeiten. An dem durch Kronkorken demolierten Türgriff der Minibar können Sie erkennen, dass Tausende vor Ihnen den Öffner auch schon nicht gefunden haben.

Gehen wir ein wenig im Hotelzimmer herum. Ihrer besonderen Aufmerksamkeit empfehle ich die Hinweise zur Brandbekämpfung an der Zimmertür und ihre deutsche Übersetzung. Neulich in Paris empfahl man, bei einem Feuer sollte man erst mal ganz ruhig bleiben. Gardez votre sang-froid! Übersetzt stand dort: “Aufbewahren Sie kaltes Blut.” Oft findet man auch Hinweise, dass man sich im Brandfall am Fenster bemerkbar machen solle. Das ist besonders hilfreich im 26. Stock eines Hotels mit nicht zu öffnenden Fenstern. Ob die Tauben optische Notsignale verstehen? Ganz erst gemeint ist der Hinweis in spanischen Hotels, dass man bei Feuer die Badewanne voll Wasser laufen lassen soll. Allerdings reichte der Platz nicht, um zu erläutern, warum. Ich weiß es bis heute nicht. Vielleicht hatte Barschel das gleiche Problem.

Gehören Sie zu den Privilegierten, einen Teller mit Obst auf dem Zimmer vorzufinden, dann sollten Sie sich die Mühe machen, die beigefügte Karte zu lesen. Neulich, im Adlon, stand folgendes drauf: “Sehr geehrter Herr Lauff! Wir freuen uns, Dich in unserem Hotel begrüßen zu dürfen und wünschen Dir einen angenehmen Aufenthalt.” Da hatte jemand den Kongress von Sun Microsystems mit der Love Parade verwechselt.

Sollten Sie sich entschließen, jetzt schlafen zu gehen, dann vergessen Sie nicht, das Schild “Do not disturb” vor die Tür zu hängen. Das bewirkt allerdings schon deswegen nichts, weil das Reinigungspersonal, da orientalischer Herkunft, den Text dieses Schildes überhaupt nicht lesen kann.

Außerdem schützt das Schild nicht vor den drei entscheidenden Störungen, die meist zwischen 06:15 Uhr und 07:30 Uhr eintreten. Die erste ist das Staubsaugen auf dem Hotelgang; die zweite, dass wohlgelaunte Putzfrauen das Nachbarzimmer reinigen und dabei in Stadionlautstärke den Fernseher betreiben, um vom Badezimmer aus ihren Lieblingssender zu schauen, der zu Hause mangels Kabelanschlusses nicht verfügbar ist. Die dritte schließlich ist der Mitteilungsdrang des Reinigungspersonals, der meist dadurch ausgeübt wird, dass die Putzfrau in Zimmer 311 mit der in Zimmer 304 kommuniziert und ich in Zimmer 307 wohne.

Neulich, im Kempinski, stand ein weißbekittelter Mensch um viertel nach sieben mitten auf dem Gang und unterhielt gleich drei Damen des Reinigungspersonals, die in diversen Zimmern arbeiteten, mit Geschichten aus seinem Emigrantenleben. Ich öffnete die Tür und fragte nach dem Namen des Mannes, um mich zu beschweren. Der aber hatte am Abend offenbar einen Spionagefilm gesehen und antwortete knapp “keine Namen”. Das führte zumindest dazu, dass der Hoteldirektor jetzt meinen Namen kennt.

Völlig unbeeindruckt von “Do not disturb”-Schildern ist übrigens derjenige, der die Minibar auffüllt. Denn die Minibar aufzufüllen ist eine hoheitliche, mit Polizeibefugnissen verbundene, jeden Drang nach Privatheit bei weitem übertreffende Aufgabe.

Auch ein Faxgerät auf dem Hotelzimmer, meist Ausdruck besonderen Luxus, kann durchaus nächtens ein Eigenleben entfalten. Neulich hatte wohl jemand vergessen, seinem Büro seine Abeise mitzuteilen. Jedenfalls erhielt ich um drei Uhr morgens unter lautem Getöse des Seitenabschneidemechanismus einen nicht zu stoppenden dreißig Seiten umfassenden Ausschnittdienst der japanischen Morgenpresse.

Soeben durch Fax oder Reinigungspersonal – oder den vom Vorgänger programmierten Radiowecker – vorzeitig aufgeweckt, begeben Sie sich in die Dusche, um festzustellen, dass ein Zimmer im 18. Stock zwar eine schöne Aussicht, aber keinen hinreichenden Wasserdruck mehr bietet. Besonders angenehm sind Duschköpfe, die nicht in ihrer Position bleiben, sondern vom Wasserschlauch stets dorthin gedreht werden, wo man keinen Tropfen des kostbaren Strahls erheischen kann. Nett sind auch Duschvorhänge aus Plastik, die die Eigenschaft haben, vom Körper magnetisch angezogen zu werden und zu einer Art Mumifizierung des Duschenden führen.

Sollten Sie die Absicht haben, Ihre Haare zu föhnen, so finden Sie entweder rechteckige Föns mit Schlauch vor, die so gut wie keine Luft von sich geben (Faustregel: Je eckiger sie sind, desto weniger pusten sie) oder Sie finden einen zwar wohlgeformten leistungsstarken Fön in einer Schreibtisch-Schublade, aber die Steckdose im Bad ist nur für Rasierer geeignet und ansonsten ist immer dort, wo ein Spiegel ist, kein Stromanschluss. Dekorateure und Elektriker hassen sich nämlich ebenfalls.

Schließlich zur Rezeption zum Auschecken. “Hat es Ihnen bei uns gefallen, war alles in Ordnung?” fragt die Rezeptionistin routinegemäß und Ihr Blick verrät, dass sie längst bemerkt hat, dass auf der Rechnung nicht nur das Zimmer und die Garage, ein Telefongespräch und etwas aus der Minibar, sondern auch ein Videofilm steht. Der Film hieß “Heiße Nächte im Hotel”. Und sie spielt es aus: “Da wäre also der Zimmerpreis”, sagt sie leise, “und dann”, jetzt etwas lauter, “die Garage” und – ihre Stimme erhebt sich – “ein Telefongespräch” und – sie spricht jetzt immer deutlicher – “ein Weißwein” und – nun hören alle zu, die hinter mir, die links von mir, die rechts von mir, die anderen Hotelmitarbeiter, ja selbst der Türsteher kann es hören – “ein Video”. Plötzlich ist es still. Jemand hüstelt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, viel Spaß bei Ihren nächsten Dienstreisen. Und: Wenn Sie dabei in einem Hotel wohnen, aufbewahren Sie kaltes Blut!


Mit freundlicher Genehmigung von Werner Lauff / www.lauff.org